Dienstag, 28. September 2010

Urlaub mit Goethe, Schiller, Wieland, Herder und Amalia

Wer hat schon erraten, wo ich mit Wortschatz einige Tage verbracht habe? Es ist die Stadt, in der Goethe und Schiller ihren Lebensabend verbrachten und eine Herzogin massenhaft Bücher angehäuft hat. Puschkin ist nie da gewesen und Bach ist aus ihr geflohen: Weimar.




Das kleine Literatur- und Schriftsteller-Mekka hat eine wunderschöne Innenstadt. Ihr Prachtstück ist die Schillerstraße, eine von Bäumen umsäumte Allee, die heute zwei Buchläden Unterschlupf gewährt. Wir staunten nicht schlecht, als sogar am Sonntag die Türen geöffnet waren. Da ich eine Thalia-Verschwörung sondergleichen witterte, fragte ich an der Kasse der unabhängigen Buchhandlung nach. Nein, eine Sonderregelung erlaubt es ihnen, am Sonntag Bücher zu verkaufen, da ihr Sortiment auch einen Weimar-Schwerpunkt hat.

Weimar ist schön, hat allerdings leider ziemlich viele unschöne Ecken. Ein verfallenes Haus mit einem Bauzaun hier, eingeschlagene Fensterscheiben nebst baufälliger Ruine dort. Beim Fahren durch den Rest der Stadt zu unserem Hotel beließen wir es bei der Erkundung der Innenstadt mit den drei historischen Stadtkernen.




Ich frage mich noch immer, wie die Weimarer Einwohner ihre Stadt wahrnehmen. Können sie Goethe und Schiller überhaupt noch ertragen? Wortschatz und ich waren nach vier Tagen schier erschlagen von der Informationsflut und dem Angebot: Goethe-Wohnhaus, Goethe-Gartenhaus, Goethe-Haus, Goethe-hat-hier-kurz-gewohnt-Haus, Schiller-Wohnhaus (hier starb er), Schiller-Wohnhaus II (hier ist heute eine Kaffee-Kette untergebracht), Sächsischer Hof (hier hat Goethe nach seiner Ankunft in Weimar gewohnt), Goethe-Theater im Gewölbe (»Goethen Tag!«), Goethe- und Schiller-Statue am Theaterplatz, ein Goethe-Spaziergang ... Da tat der Belvedere Express mal richtig gut!




Am Samstag standen Wortschatz und ich im Morgengrauen auf. Um kurz nach sechs Uhr torkelten wir in die Dusche, packten unsere Sachen und fanden uns um kurz nach acht Uhr mit nüchternem Magen vor einer schweren Holztür wieder. Wir standen tatsächlich schon inmitten in einer Schlange, die immer länger wurde. Der Grund? Jeden Tag dürfen derzeit nur 250 Besucher die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek besichtigen, da die Bausubstanz des Rokokosaals gefährdet ist. Wer Karten reservieren will, hat eine Vorlaufzeit von fünf Monaten. Ein Schild bedeutete uns, dass nur noch 70 Karten für den Samstag verfügbar waren. Mist. Über eine Stunde ging das Zittern weiter, bis wir endlich zwei Karten in den Händen hielten. So gestrahlt habe ich schon lange nicht mehr.




1691 entstand die Bibliothek, die Handschriften aus dem Mittelalter, Drucke aus der Renaissance, der Reformationszeit und des Barocks, wertvolle Erstausgaben und andere bibliophile Schätze beherbergt. Wunderschön ist der Rokokosaal, der seit dem Brand im Jahr 2004 wieder vollständig hergestellt worden ist. Mit Audio-Guides bewaffnet erstürmten wir nach einem ausgiebigen Frühstück die Bibliothek. Der Rokokosaal mit den Statuen der Weimarer Größen in römischen Gewändern, den Ölgemälden, den weißen Säulen und Regalen mit Goldverzierungen und den schweren Folianten und die knarzenden Dielen durfte nur in riesigen Pantoffeln betreten werden.




Während die Stimmen des Audio-Guides in meine Ohren säuselten, dachte ich immer wieder an den Brand zurück, bei dem 50.000 Bücher zerstört worden waren. Eine so große Menge, die mir unvorstellbar und unerträglich war, als ich die Prachtausgaben betrachtete und später die Sonderausstellung mit den Huldigungsschriften (Brokatpapier mit goldener Tinte). Ich erinnerte mich auch an meinen ersten Studientag zurück. Damals haben wir als Einleitung eine Reportage zum Brand gesehen. Neben dem Besuch des KZ Buchenwald war diese Bibliothek es, die mich im Sturm erobert hat.




Post Scriptum: Wortschatz möchte betonen, dass zwei der Fotos von ihm gemacht worden sind. Ich war so hibbelig, dass ich es nicht geschafft habe, Bilder von der Bibliothek zu machen :)

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