Für meine Seminararbeit musste ich mich wieder in dieses Gemäuer wagen. Diese Beschreibung nutze ich nicht, weil das Gebäude besonders alt, ehrwürdig oder gar romantisch ist, sondern wegen seines verfallenen Baustellen-Charakters. An diesem Ort treffen Kontraste aufeinander: Das weite, offene Informationszentrum voller Computerarbeitsplätze, die Aufbewahrungsschließfächer, die neuerdings elektronisch mit der Uni-Karte funktionieren und an denen ich eine Viertelstunde erfolglos versucht habe, meine Sachen einzuschließen, und natürlich einen modernen OPAC, für den man erst einen Kurs besuchen muss, um ihn vollends zu verstehen. Und dann gibt es da die dunkle Seite der Universitätsbibliothek: Der Freihandbereich.
Das ist mein Revier, wenn ich für gewöhnlich nach einem Buch fahnde, das nicht in der Institutsbibliothek steht. Einem eisernen Gesetz folgend stehen meine gesuchten Bücher immer im obersten Stockwerk egal welchen Gebäudes, sodass ich in den Genuss komme, durch das komplette Gemäuer zu streifen. Nein, das Gebäude ist wirklich nicht alt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedergründung der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität im Jahr 1946 war die Universitätsbibliothek zunächst dezentral aufgebaut. Erst 1964 zog sie in diesen quadratischen, neuen Bau mit den quadratischen Fensterchen, die den gesamten hinteren Teil in ein dämmriges Licht tauchen. Hier befindet sich der Freihandbereich.
Die Stufen aus Holz biegen sich und werden in ein paar Jahren genau so ausgetreten sein wie die Treppe im Turm des Kölner Doms. Die Neonröhren flimmern. Der Aufgang ist weiß und erinnert an Baustellencontainer, die sich flexibel durch die Gedärme des Freihandbereichs stetig in die Höhe ziehen. Aber nur zwei Stockwerke, denn dann führen rote Fußspuren an den langen Regalreihen kreuz und quer durch die Universitätsbibliothek und verraten den Irrenden, wo sich der Aufgang zum dritten Stock versteckt. Hier steht endlich eine richtige, keine Klaustrophobie erzeugende Treppe, die weit weniger ungemütlich wirkt und an einem Glaskasten zum gesicherten Teil der Bibliothek endet.
Der dritte Stock bedeutet das Ende meiner Reise. Hier ist es still. Irgendwo ist eines der Fenster geöffnet und es zieht leicht, während das Gitter in Kombination mit der prallen Mittagssonne scharfe Kontraste in die Reihen schneidet. Dunkelster Schatten wechselt auf flimmernden Lichtfleck. Die Bücherregale sind aus Metall und von einem Weiß, das schon jetzt schmutzig aussieht und zum Betonboden passt, auf dem sich merkwürdige Flecken wie Reifenspuren ausbreiten. Als ich mein Buch fand, stand ich am Ende einer Regalreihe und am Gang entlang vor dem Fenster zog sich eine winzige Leitplanke bis zum Ende des Korridors. Hier fahren wohl die Bücherratten nachts Seifenkistenrennen, dachte ich.
(Die Fotos entstanden mit meiner kleinen Handkamera, eine TZ5 von Panasonic.)
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