Montag, 30. Mai 2011

Rezension – Carlos Ruiz Zafón: »Marina«

Eng, magisch, klein, modernistisch, monumental, verwinkelt, lehmfarben, dunkel, verschlammt, verhext, düster, gespenstisch, verschleiert, stilleverzaubert, verwunschen, abgesperrt, höhlenartig, endlos, stetig, geisterhaft, ungeheure, magisch, hohe, flüssig, groß, frei, geistig, edel. Das sind die Adjektive, mit denen Carlos Ruiz Zafón allein die ersten zwei Seiten seines neuen Romans »Marina« übervölkerte. Wird sein Stil denn besser? Mitnichten.

Inhalt
Óscar Drai heißt die Hauptfigur, der Schüler eines Internats in Barcelona ist. Einsam streift er durch die Viertel der Stadt und lernt das Mädchen Marina und ihren Vater Germán kennen. In ihnen findet er eine Familie und ein Leben außerhalb der Schule. Schon bald stolpern er und Marina in die Geschichte von Michail Kolwenik, dem ehemals reichsten Mann Barcelonas und geraten in ein mörderisches, düsteres Abenteuer.

Meinung (Ohne Spoiler)
Ich habe mich sehr auf das neue Buch von Zafón gefreut, das gemeinsam mit »Der Schatten des Windes« und »Das Spiel des Engels« zum Barcelona-Zyklus des Schriftstellers gehört. Lange mussten die deutschen Leser auf diese Veröffentlichung warten und in einem Vorwort erzählt der Autor, dass die Geschichte zu seinen liebsten gehört. Allerdings habe die Veröffentlichung ihm auch viel Kummer bereitet. Mir hingegen hat der Stil große Sorgen gemacht. Das 350-Seiten dünne Bändchen ist hölzern und schematisch aufgebaut. Ein grusliger Ort reiht sich an den nächsten, als würde Zafón nacheinander eine Liste mit möglichst grusligen, mysteriösen, verhexten Orten abarbeiten. Dabei beschreibt er eigentlich nichts. Seine Kulisse, das magische Barcelona, bleibt zweidimensional und wird von ihm mit Hilfe einer Armee von Adjektiven aufgewertet und lebendig gemacht. Habe ich nach dem Lesen ein Bild von Óscar im Kopf? Nein – auch seine Figur bleibt starr und stumm, seine Beziehung zu Marina ebenfalls, die geprägt ist von nicht gelösten Missverständnissen und Konflikten. Die Handlung ist vorhersehbar und bot mir keine einzige Überraschung und seine kurzen, abgehackten Sätze steigerten meine Enttäuschung über alle Maße. Lediglich die Gewissheit, dass »Marina« 1999 veröffentlicht worden war und »Der Schatten des Windes« im Jahr 2001, lässt mich hoffen, dass der Autor sich zwischen den beiden Bücher handwerklich enorm gesteigert hat, sodass seine nächsten Bücher hoffentlich so erstrahlen werden wie der Schatz und mein liebstes Buch: »Der Schatten des Windes« .

Meinung (mit Spoiler)
Ich finde, das Buch hat einige Parallelen zu »Der Mitternachtspalast« – vor allem die schauerlichen Elemente haben dazu geführt, dass mich die Wandlung zu »Marina« nicht überrascht hat. Im Gegensatz zu »Der Mitternachtspalast« – der lange Zeit wunderbar zwischen Realität und Fiktion schwankt und sich dann für den Horror entscheidet – ist die Richtung von »Marina« von Anfang an klar festgelegt und führt zu keinen Überraschungen. Ebenfalls enttäuschend war, dass Óscar und Marina wenig selbst recherchieren mussten, um für alle Rätsel eine Lösung zu finden. Alle Antworten wurden ihnen bereitwillig und bequem in langen Erzählungen präsentiert und auch die Unzuverlässigkeit der Berichtenden wurde mit einem Wimpernschlag weggewischt. Den Leser herausfordern? Wozu, wenn es gilt, eine Liste von möglichst grusligen Elementen mit zum Teil platten literarischen Verweisen (María Shelley) abzuarbeiten und diese mit abnorm vielen Adjektiven anzureichern? »Marina« hat mich von all seinen Büchern am meisten enttäuscht. Lieber Autor, tue mir das nicht nochmal an!

Carlos Ruiz Zafón
»Marina«
FJB, 352 Seiten, 19,95 Euro
ISBN: 978-3100954015
Erschienen am: 05. April 2011

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