Mittwoch, 29. Juni 2011

Nachwort – Pottermore

Es geisterte und spukte noch eine Weile in meinem Kopf herum: Dieses Gefühl, das etwas einfach nicht stimmt. Hast du, lieber Leser, es auch bemerkt? Als das Video erschien, in dem J.K. Rowling von ihrem neuen Projekt Pottermore berichtete, war ich zuerst total gebannt: Von der Idee, den möglichen Zusatzinformationen rund um die Potter-Welt, dem Community-Gedanken. Es ist eine ganz neue Möglichkeit, um E-Books zu vermarkten.

Und da passierte es: Aus der Rowling, die in meiner Kindheit wie eine mütterliche, bescheidene Mrs Weasley wirkte, ist eine Hermine Granger geworden. Allerdings eine, die nicht nur klug und streng ist, sondern auch kalt, ehrgeizig und irgendwie fies auf ihre Art und Weise. Perfekt hergerichtet, perfekt ausgeleuchtet mit einem klinisch reinen Gewissen. Kein Mensch, der mir unbedingt sympathisch ist. Und plötzlich zerfiel die Papierzauberei in ein fades Sony-Einerlei – und das Projekt hat einen bitteren Beigeschmack bekommen. Was ist passiert?

Lesenächte um Schlag Mitternacht

Mir fielen ein paar Dinge auf. Ich erinnerte mich an meine Buchhandlung. Jedes Mal, wenn ein neuer Harry-Potter-Band veröffentlicht worden ist, gingen die Türen schon um Mitternacht auf und die Buchhändler verkauften ihn. Es gab Lesenächte, liebevoll gestaltete Themenfenster, lustige Werbematerialien (das Türschild habe ich immer noch) und überhaupt sehr schön gestaltete Bücher vom Carlsen-Verlag. Die Bücher veränderten den Markt, ließen aus Nichtlesern Leser werden und sie verkauften sich weltweit wunderbar.

Was würden Flourish und Blotts dazu sagen?

All diese Arbeit dankt die Autorin dem Buchhandel, indem sie ihre E- und digitalen Audio-Books ausschließlich über ihre neue Plattform Pottermore vertreibt – und das in mehreren Sprachen. Die wichtigsten Verlage bleiben (bis auf ihren Anteil am E-Book-Verkauf) außen vor, und eben auch die Buchhandlungen. Was wohl Flourish und Blotts dazu sagen würden (die Buchhandlung in der Winkelgasse), wenn sie die digitale Version des Monsterbuchs nicht verkaufen dürften? Oder das unsichtbare (E-) Buch der Unsichtbarkeit, obwohl sie sogar ohne DRM auf Pottermore verkauft werden?

Kontrolle über die Potter-Welt im Medium Internet

Im Gegensatz zu vielen Selfpublishing-Autoren, die ihr Glück ohne Verlag und stationärer Buchhandlung wagen, hat Rowling einen entscheidenden Vorteil: Sie ist bekannt und wird ein großes Geschäft mit der Vermarktung ihrer E-Books machen. Sie wendet sich direkt an ihre Kunden – den Leser – und verspricht ihnen zusätzlich ein gemeinschaftliches Lese-Erlebnis. Im Gegenzug erhält sie die Kontrolle über alles: den Verkauf der E-Books und allen Informationen zur Potter-Welt. Natürlich erhält sie mehr Geld, da sie den Vertrieb komplett übernimmt, aber warum eigentlich? Hat sie das unbedingt nötig? Sie, die weltweit mehr als 450 Millionen Bücher verkauft und ein geschätztes Privatvermögen von einer Milliarde Dollar hat? Auf Kosten der Buchhandlungen?

Szenario: E-Book-Bestseller ohne stationären Buchhandel?

Die digitalen Bücher sollen auf allen Lesegeräten verfügbar sein. Außerdem soll durch die E-Books der Fokus wieder auf die Bücher gelegt werden, was zu neuen Verkäufen im Print-Bereich führen würde. Das ist derzeit die Argumentation für die Pottermore-Plattform. Sind das wirklich echte Argumente, um den Buchhandel auszusparen? Natürlich ist die Lage in Deutschland noch nicht wie in den USA und in Großbritannien, wo die Zahl der E-Book-Verkäufe deutlich höher liegt, aber es wird sich ändern. Und für diese Zukunft schlägt Rowling einen radikalen Weg ein, der Buchhandlungen keine Chance lässt, E-Book-Bestseller zu vermarkten. Das hat mir zumindest vorläufig den Geschmack auf die Plattform verdorben und mein Rowling-Bild mehr und mehr in eine Richtung gerückt, in der ich sie niemals sehen wollte.

Sammlung von Reaktionen auf Buchreport.de
Beitrag von Holger Ehling

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