Donnerstag, 21. Juli 2011

Rezension – Jonathan Barnes: »Das Albtraumreich des Edward Moon«

Klappentexte versprechen vieles, doch nicht jedes Buch wird ihnen gerecht. Eine Ausnahme bildet »Das Albtraumreich des Edward Moon« von Jonathan Barnes. Es heißt dort zunächst: »Seien Sie gewarnt – dieses Buch besitzt keinen wie auch immer gearteten literarischen Wert!« Stimmt haargenau! Und weiter: »Dieser Roman ist ein grässliches Konvolut von Unsinnigkeiten, bevölkert von wenig überzeugenden Charakteren, geschrieben in öder Prosa, oft genug lächerlich und durchweg bizarr.« Jaaa! Haargenau! Besser hätte ich meine Meinung nach dem Lesen nicht formulieren können. Ich hätte dem Klappentext lieber geglaubt – zumindest diesem Teil. Doch ich habe lieber dem Zitat vertraut, dass der Roman für Fans von Susanna Clarke und Jasper Fforde geeignet ist. Das wiederum ist eine glatte Lüge. Schämt euch, Kritiker vom The Guardian! Nur wegen euch habe ich das wohl schlechteste Buch des Jahres in die Finger genommen und gelesen. Daher folgt nun mein Verriss.

Inhalt
Schauplatz von »Das Albtraumreich des Edward Moon« ist London im Jahr 1901, Hauptfigur ein Zauberer namens Edward Moon, der mit seinem zwei Meter großen Assistenten – den Schlafwandler – in einem Theater Kunststücke zeigt. Doch eigentlich liebt er das Lösen von Kriminalfällen und bald schon klingelt Scotland Yard an seiner Tür: Moon muss einen besonders bizarren Mordfall aufklären.

Meinung (mit Spoiler)
Da ich dir, lieber Leser, dieses Buch nicht antun möchte und du es sicherlich und hoffentlich nicht lesen möchtest, trage ich hier meine Meinung vor – mit Spoilern. Damit du es auch ganz bestimmt nicht lesen brauchst und du nicht das Gefühl hast, irgendetwas zu verpassen.

Um dir einen Eindruck zu verschaffen, schildere ich an dieser Stelle kurz den ersten Mordfall: Ein Schauspieler (erfolglos, unansehlich, untalentiert) treibt sich im schäbigsten Winkel Londons herum, um sich eine Prostituierte aufzureißen. Er trifft eine (minderjährig), die führt ihn in einen komischen Turm. Hier soll er sich ausziehen. Als er nackt ist, kommt seine Mutter, spricht davon, dass er eine Enttäuschung sei und ein komisches Wesen klettert den Turm hoch und wirft den Sohn aus dem Fenster. Punkt. Das ist einer der wenigen humorvollen Stellen in diesem Buch. Gerne hätte ich mehr davon gehabt. 
Ich kann dieses Buch nicht wirklich einordnen, denn anhand des Covers hätte ich auf Jugendliche ab 14 Jahren getippt. Aber es gibt weitere Szenen, in denen Edward Moon in ein Bordell geht und sich eine Prostituierte mit einem Vollbart aussucht. An einer anderen Stelle beschreibt der Autor umfassend eine wilde Knutsch-Fummelei. Ich bin nicht prüde, allerdings passten diese Szenen so gar nicht in das Gesamtkonzept des Buches, dass eher einfach und jugendbuchartig-oberflächlich ist. Das aber nur am Rande erwähnt. Interessanter und auf höchstem Grad und unglaublich nervig sind hingegen (ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll): Der Erzähler. Die Handlung. Die Figuren. Die Wiederholungen.

Der Erzähler ist ein schwafelnder auktorialer Erzähler – zunächst –, der sich zum Schluss als der Bösewicht des Romans entpuppt. Waren die Mythenmetz'schen Abschweifungen von Walter Moers noch charmant und originell und witzig, hätte ich in diesem Roman ganze unnötige Passagen gestrichen, die nichts, aber auch gar nichts mit der Handlung zu tun hatten und sich mir auch im Nachhinein nicht erschließen. Zusatzinformationen sind eigentlich immer ganz interessant, wenn sie denn auch wirklich interessant sind. Waren sie allerdings nicht – der Aussagegehalt tendierte gegen Null. Was interessiert es mich, dass Moon eine Kutsche gesucht hat, nicht gefunden hat und dann hingelaufen ist? Und das eine halbe Seite lang, ohne irgendetwas über das schöne viktorianische London zu berichten? Ohne die Gedanken und Überlegungen der Hauptfigur? Ohne irgendetwas?

Genau so waren die Handlungen aufgebaut. Edward soll ein Detektiv sein? Er hat kein einziges Mal irgendeine Vermutung geäußert, kein einziges Mal irgendetwas besonders, monk-haftes bemerkt, vorhergesehen oder sonst etwas in der Art. Er ist von einer Sackgasse in die nächste gelaufen, hat keine der vorhersehbaren Fallen auch nur im Ansatz bemerkt und stolperte von einem Ort zum anderen, ohne irgendetwas zu erreichen. Die Handlung lief immer wie folgt ab:

Moon beschließt spontan (weil ihm langweilig ist – kein Scherz, ich musste mir seitenweise lang durchlesen, wie ungeheuer langweilig ihm ist!), dass er einen Ort X besucht. Dort geht er hin und trifft sich mit einer dort anwesenden Person. Der erzählt er erst einmal ALLES, was er weiß und stellt dann erst einmal die falsche Frage. Die Person verhöhnt ihn. Dann stellt er eine interessante Frage. Die Person verhöhnt ihn, diskutiert mit ihm oder das Gespräch wird unterbrochen. Das Ergebnis? Nichts. Mehrmals geht Moon in ein geheimnisvolles Archiv, liest sich wichtige Dokumente durch – stundenlang – aber seine Schlussfolgerungen aus diesen Besuchen bleiben nicht nachvollziehbar. Und das zieht sich durch die gesamte Handlung. Irgendwann wird man einfach nur noch aggressiv.

Die Personen sind krampfhaft unsympathisch gestaltet worden. Es wimmelt von missgebildeten Charakteren: Ein Albino, ein abstoßend hässlicher Zeitreisende, ein vernarbter Geheimagent, der stumme, zwei Meter große, haarlose, nur Milch trinkende Schlafwandler, eine Frau mit Bart, der Fliegenmensch. Es wäre eine interessante Mischung, wenn der Autor sie nicht so gleichförmig dargestellt hätte. Keine einzige Figur entwickelt sich in irgendeiner Art und Weise weiter. Einzig die Präfekten, zwei dämonische Auftragsmörder, haben mir ein wenig gefallen. Wie Max und Moritz tobten sie durch die letzte Hälfte des Buches und mordeten – mit lustigem Small-Talk – auf grausamste Weise (Regenschirm) Menschen ab, ohne ihren Kleinjungencharme zu verlieren. Schade nur, dass ihr Auftritt auch nicht wirklich in die Handlung gepasst hat, aber da die gesamte Handlung inklusive Plott löchrig, wenig nachvollziehbar und vorhersehbar war, machte das wiederum nichts aus.

Zum Schluss muss ich die Wiederholungen erwähnen. Edward Moon hatte Probleme in der Vergangenheit gehabt und hat es nicht geschafft, einen Fall aufzuklären (oh Wunder!). Ich weiß nicht, wieviele direkte Anspielungen es darauf gab (»Edward Moon? Das ist doch der, der Fall XY vermasselt hat.«), aber kein einziges Mal wurde dieser Sachverhalt aufgeklärt, noch hat er in irgendeiner Art und Weise zur Handlung beigetragen. Ständig wurde erwähnt, was für Superkräfte der Schlafwandler hat (unverwundbar), aber nie wurde erklärt, warum. Aus dem Frankenstein-Dichter zum Schluss wurde ständig darauf hingewiesen, dass das Ding grün aussehe und dass das bestimmt nur eine optische Täuschung sei. Irgendwann – oh Wunder! – kam heraus, dass der Dichter eklig auseinanderfiel. Wieso muss der Autor ständig alles wiederholen? Warum muss er auf jedes Detail ganz genau hinweisen, damit der Leser es auch ja nicht überliest, weil es in der nächsten Szene wichtig sein wird? Typischer Fall von Mein-Leser-ist-dumm-und-ich-muss-ihm-alles-vorkauen.

Fazit
Leider habe ich schon zu viel gelesen und ich hasse es, ein Buch abzubrechen, daher musste ich es zu Ende lesen. Es hat drei Wochen gedauert (400 Seiten) und ich hab in der Zeit zwei andere Bücher und noch viel lieber Fachbücher gelesen. So einen schlechten Debütroman habe ich selten in den Fingern gehabt. Allein von den Rahmenbedingungen hätte es klappen können, aber die Geschichte ist total in die Hose gegangen. Es hat mich regelrecht aggressiv gemacht und vor allem frustriert. Meiden! Nicht kaufen! Und auf keinen Fall lesen! Dass The Guardian hier tatsächlich einen Vergleich mit Susanna Clarke und Jasper Fforde gewagt hat, grenzt an eine Beleidigung, einen Betrug, an Rufmord. Wenn die das wüssten…!


Jonathan Barnes
»Das Albtraumreich des Edward Moon«
Piper, 400 Seiten (vergriffene Hardcover-Ausgabe)
ISBN: 978-3492701570
Erschienen am: März 2008

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