Im vorangegangenen Blogpost habe ich angedeutet, warum ich überhaupt beruflich auf der Messe war. Nein, die Interviews mit den Autoren habe ich in meiner freien Zeit gemacht, ebenfalls die Gespräche und das Knüpfen von Kontakten wegen eines Herzensprojekts (mehr dazu später). Der Grund hieß schlichtweg: protoTYPE.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bzw. das Forum Zukunft hat eine Initiative begründet, um die Zukunft der Buchbranche mit innovativen Ideen zu bereichern. Ich gehörte nach einer denkwürdigen Videobewerbung zu den glücklichen Stipendiaten, merci dafür. Ich reiste am Donnerstag an, um den Einleitungsvortrag am Freitagabend zu hören. Die richtige Arbeitsphase für das Projekt füllte meinen kompletten Samstag und Sonntag aus. Ob das Leipziger Messegelände an den Wochenenden wohl voller war als an den Tagen zuvor? Ich habe keine Ahnung, saß ich doch von frühmorgens bis spätabends in einem schicken Konferenzzimmer des Congress Centers.
Was ereignete sich am ersten Tag des Workshops? Es gab ein »Get to know«, ein Briefing zum »Elevator-Pitch«, anschließend ein »Lunchspeed«, ein Voting zum Ideen-Ranking. Das tippe ich gerade mit einem schmunzelnden Augen, der Börsenverein liebt englische Ausdrücke, aber Scherz beiseite, es folgt nun ein detaillierter Bericht.
Dorothee Werner vom Forum Zukunft sprach in der Begrüßung voller Tatendrank von einer Aufbruchsstimmung, Ronald Schild, der Geschäftsführer der MVB, sah in dem dem Projekt eine innovative Vorhut der Buchbranche. »Keine Raubritter, sondern Menschen mit neuen Ideen.« Wie kamen diese Ideen zwischen Frühstück und Lunchspeed zustande? Gemeinfreie Ideen, die die Akteure der Buchbranche als Basis für neue Innovationen nutzen können? Impulse, die Probleme der Gegenwart lösen, um die Zukunft erträglich zu machen? Während des Ideenbasars bildeten sich zwei Gruppen unter den Teilnehmern: Die Ideengeber (»Ideenhosts«) schnappten sich Stifte und skizzierten ihre Ideen auf vorbereitete Flipcharts, die Ideenprüfer schlenderten durch das Konferenzzimmer und ließen sich von den Ideen überzeugen. Oder auch nicht, dann ging die Wanderschaft und das Prüfen weiter. Manche Ideen gewannen Anhänger, andere hingegen ähnelten anderen Vorschlägen, sodass sie zusammengefügt werden konnten. Zum Schluss brauchte jeder Prototyp einer Idee genug Anhänger, um zum Elevator-Pitch vorgelassen zu werden, wo sie dem großen Publikum innerhalb eines begrenzten Zeitfensters vorgestellt wurde. Am Ende des Tages musste jeder Punkte für die besten Ideen vergeben, sodass wieder gnadenlos ausgesiebt wurde. So konnten sich die Endgruppen formieren.
Was für Ideen haben sich dem Elevator-Pitch gestellt?
1. Eine B2B-Plattform, in der Rechteinformationen gebündelt werden, um außerdem eine Lizenz-Schnittstelle verschiedener Branchenteilnehmern zu bilden.
2. Ein unparteiisches Abrechnungsverfahren für digitale Güter zwischen dem Verlag und der Plattform (z.B. beim Flatrate-Modell).
3. Eine Content-Plattform für Endkunden, in der alle Erscheinungsformen eines Artikels aufgelistet werden, sodass ein Formatwechsel nach dem Erwerb des Contents ermöglicht wird.
4. Ein Modell, was es Endkunden ermöglicht, ein eigenes Buch zusammenzustellen (z.B. Kochrezepte, eigener Reiseführer) und Verlagen, die ihre Inhalte in die Datenbank laden, so ein neues Vertriebsmodell ermöglicht.
5. Eine Plattform, die Informationen für E-Reader bereitstellt und ein Qualitätssiegel an E-Books vergibt.
6. Ein B2B-User-Support, an denen sich z.B. Buchhändler wenden können, wenn ihr Kunde eine Frage bezüglich seines E-Readers, seines E-Books etc. hat. Der Support soll auch Webinare bereitstellen.
7. Eine Open Source Software zur Erstellung von grafisch anspruchsvollen E-Books.
8. Ein Online-Shop, der besser ist als ein großer Marktführer. Alle Branchenteilnehmer sollen eingebunden werden, also sowohl Verlage als auch Buchhandlungen.
9. Eine Studie, die die Zukunft des digitalen, stationären Buchhandels und seine Möglichkeiten ermittelt.
10. Ein Katalog mit Werkzeugen, Möglichkeiten, Methoden, wie eine Buchhandlung auch in Zeiten von Internet attraktiv sein kann (vor allem: Was für Möglichkeiten hat ein stationäres Geschäft online?).
Ich hab während des Ideenbasars sehr stark zwischen zwei Ideen geschwankt und zum Schluss lieber auf den Kopf als auf das Herz gehört: Einerseits das Abrechnungsverfahren für digitale Güter, andererseits die Möglichkeit, erst den Content zu erwerben und sich erst danach für das Medium entscheiden zu müssen. Das Thema Flatrate ist spätestens seit den Musikanbietern simfy und spotify und seit skoobe für den appleaffinen Teil der Buchbranche in aller Munde, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein mediumunabhängiger Einkauf in Zeiten der Buchpreisbindung möglich sein könnte. Wahrscheinlich kommt diese Idee für die Buchbranche ein paar Jahre zu früh, sodass die Umsetzung des Prototypen lediglich nach einer Link-Sammlung mit vielen Metadaten klang. Ich entschied mich für das Abrechnungsverfahren und setzte tatsächlich auf das richtige Pferd: Diese Idee erhielt in der Endrunde die meisten Stimmen. Trotzdem war ich unglücklich, denn spätestens beim Namen des Projekts (»Digital Content-Accounting-Clearing-Center«) wird vielleicht deutlich, dass Mitglieder des Börsenvereins als Teilnehmer in der Gruppe saßen und ich mich vor einer hyperbürokratischen und hyperumständlichen Aufgabe fürchtete, die lediglich von der Idee und einem engagierten Gruppenleiter überzeugte.
Mein Clearing-Center landete auf dem ersten Platz, auf dem zweiten tummelten sich das Gütesiegel für E-Books, inklusive Informationsplattform und der Werkzeugkasten für die Sortimenter. Ebenfalls gut kam der User-Support für E-Books im B2B-Bereich an. Eine kleine Gruppe engagierte sich stark für die Open-Source-App zum Zusammenstellen von eigenen E-Books im Baukasten-System. Auf den fünften Platz kam der Shop, der besser sein wollte als alles bislang dagewesene und mit diesem letzte Prototypen standen die besten fünf bzw. sechs Ideen fest. Am Sonntag sollten sie ausformuliert, geplant, zugeordnet und für die ersten Meilensteine vorbereitet werden. Dazu später mehr ... denn vieles kam ganz anders, als erwartet.
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