Was habe ich mich amüsiert! Die Boulevard-Kritik war Unterhaltung pur! Es war die Rede von der »Welle aus Scheiße«, von Mist, von Plappermäulern und interessanten Beschäftigungen. Zum Beispiel den Tulpen beim Wachsen zusehen. Soviel zu meiner aufsehenerregenden, boulevardesken Einleitung, jetzt kommen erst einmal die Fakten.
Frankfurter Literaturhaus. Im Literaturkabinett mit den fliegenden Stiften. Dort gab es letzte Woche eine Diskussion zu einem spannenden Thema mit einem sperrigen Titel: »Literatur 2.0 oder Unsicherheitskompetenz – Zur Zukunft unserer Sprache in Büchern und Bits«. Ich bin nicht nur wegen dem Thema hingegangen, sondern auch wegen den Teilnehmern der Diskussion: Matthias Altenburg (Autor), Petra Gropp (Lektorin bei S. Fischer), Harald Hillgärtner (Medienwissenschaftler an der Goethe-Universität) und meine Lieblings-Leicanerin Andrea Diener (FAZ-Journalistin / Bloggerin).
Statt um Sprache drehte sich die Diskussion schnell in eine andere Richtung. Es ging vor allem um die gegenwärtige Literaturkritik, sei es im Feuilleton oder in der Blogosphäre. Nachdem der Verfall der Zeitungen festgestellt ( »Die besprechen sogar Krimis!«) und die Apokalypse in Homestories vorhergesagt wurde, ging es über zum allgemeinen (Online-) Kommunikationsüberdruss. Der Raum, in dem Bücher besprochen werden, sei öffentlicher und vielstimmiger geworden.
Klar, denn die Hürden, ein eigenes Blog anzulegen oder in einem der Verkaufsportale eine Rezension zu schreiben, sind äußerst gering. Was früher in Lesegesellschaften oder unter Freunden und Bekannten besprochen wurde, ist heute mit den richtigen Begriffen in der Suchmaschine nur einen Klick entfernt. Interessanterweise hat sich eine ganz eigene Struktur gebildet, wie eine Online-Rezension formal auszusehen hat. Altenburg, der Autor, beklagte allerdings, dass derzeit noch ein Raum für die Auseinandersetzung zwischen Autor, Leser und Verlag fehlen würde. Die Kommunikation sei auf verschiedenen Portalen und in der literaturaffinen Blogosphäre verstreut, und um die richtige Rezension zu finden, müsse man sich erst durch 99 Prozent Mist wühlen, um die ein Prozent guter Kritiker zu finden.
Doch was ist überhaupt lesbar? Wie sieht eine gute Rezension aus? Da musste die FAZ-Journalistin, die auch am Buchmessen-Klatschblatt mitschreibt, eine Antwort geben. Ist es der Stil, ist es der Inhalt? Es ist auf alle Fälle wesentlich mehr. Sie müsse lesbar sein, demnach anders als eine Seminararbeit, so Diener. Altenburg sprach sich im Feuilleton für den gerechten Verriss aus, der ihm lieber sei als jegliche Lobhuddelei. »Ein Buchkritiker sollte ganze Existenzen vernichten können. Das klingt schön!« Die Literaturkritik hat für ihn deshalb die Aufgabe eines Filters, die sie aber nicht erfüllt, denn die Auswahl stimme nicht mehr. Das Feuilleton sei aufgeweicht, habe aufgegeben und sich »für den ganzen Mist geöffnet«, und der Boulevard-Journalismus verdränge die ernsthafte Literaturkritik.
Ich persönlich fand diese Beobachtungen ziemlich interessant, nicht nur als Bloggerin. Mir kreisen mehrere Gedanken durch den Kopf, zu denen vor allem die Kommunikationsverdrossenheit gehört. Ist es wirklich so, dass den Menschen die Online-Kommunikation zuviel wird? Dass sie facebook überdrüssig werden? Oder ist das nur ein Gefühl der Generation, die nicht zu den Digital Natives gehört? Ich muss allerdings an einen Artikel denken, den ich bezüglich facebook gelesen habe: Das Netzwerk wird für viele User uninteressant, langweilig, die Nutzungszeit sinkt. Ist es generell nur eine facebook-Schelte und wird das Netzwerk bald durch ein anderes ersetzt? Oder geht es hier wirklich um Menschen, die der Online-Kommunikation überdrüssig sind?
Die Feuilletonkritik finde ich zu kurz gedacht. Wesentlich spannender ist die Frage, warum die Literaturkritik sich dort gerade wandelt. Joachim Unseld sprach bei meinem Besuch in der Frankfurter Verlagsanstalt einmal von einem Bruch, der tiefe Gräben zwischen dem Feuilleton auf der einen Seite und den Lesern und Abverkaufszahlen auf der anderen Seite schlägt. Garantierte eine Rezension in einer der großen überregionalen Tageszeitungen früher noch reisenden Absatz, reagiert heute kaum mehr ein Buchhändler darauf, weil einfach keine Reaktion erfolgt. Die Literaturkritik im Elfenbeinturm – genau das habe ich auch während meinen Praktika in Verlagen beobachtet. Mal schauen, wie sich alles in Zukunft entwickeln wird.
Spannend ist auch die versteckte Blogger-Kritik: Klar gibt es viele schwarze Schafe, die ein Buch einerseits ganz doll traurig, andererseits aber richtig super finden. Oder einfach nur oberflächliche Kritiken schreiben, um Rezensionsexemplare abzugreifen. Aber haben diese Blogs wirklich eine Relevanz, die fürchtenswert wäre? Wer bestimmt überhaupt, wie eine gute Literaturkritik aussieht und geht die Schelte nicht auch ein bisschen in die Richtung der gelesenen Schundliteratur?
Ich selbst experimentiere gerade mit Rezensionen herum. Hut ab vor all meinen Mitbloggern, die seitenlange Rezensionen schreiben, doch lange Texte liest heute im Netz keiner mehr. Außer, es handelt sich um eine Kritik, die wirklich wichtig für jemanden persönlich ist, Stichwort: Lieblingsbuch. Deshalb versuche ich meine Texte möglichst knapp zu halten und stark zu strukturieren. Ich mag Zwischenüberschriften in Zeitungen überhaupt nicht (denke jedes Mal, dass ich dadurch nur gespoilert werde), deshalb kategorisiere ich meine Kritiken und fette essentielle Passagen, sodass alle meine Texte überflogen werden können.
Ich lese alles, wirklich jedes Genre. Durch mein Studium der Komparatistik habe ich in der Hinsicht wirklich viel erlebt und mein aktueller Stapel ungelesener Bücher würde so manchen Schmunzeln lassen. Doch ich rezensiere nicht jedes Buch, denn dafür ist mir meine Zeit zu schade. Allerdings habe ich eine Vorliebe für grottenschlechte Bücher, vornehmlich aktuelle Bestseller, die ich nach allen Regeln der Kunst gerne auseinandernehme, literaturwissenschaftlich betrachtet, um ihnen den schönen Schein zu nehmen. Ich bin halt gerne gemein.
Letztendlich ist das Internet, wie auch die Diskussionsteilnehmer im Frankfurter Literaturhaus festgestellt haben, eine Chance für Nischenliteratur. Bis dahin bleibt dem buchaffinen Leser einfach nur die Aufgabe, die Häppchen der gigantischen Auswahl einzuordnen und zu beurteilen. Hoffentlich sind wir dazu alle mündig genug.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen