Montag, 29. Oktober 2012

Deutscher Buchpreis 2012 – Die Preisverleihung


Dieser Tag war absolut verrückt. Schon früh morgens war ich unterwegs nach Frankfurt, um eine Ladung Visitenkarten für die Frankfurter Buchmesse abzuholen. Der Rückweg dauerte länger, denn die Bahn zickte solide wie verlässlich herum. Statt drei Stunden war ich mehr als vier Stunden unterwegs, natürlich hin und zurück und mit zwei Spaziergängen, dem Abholen, dem Drucken von Urkunden und mehr. Zu Hause musste ich schnell Essen, danach mit meiner Agentur in München Skypen, dann ging es wieder los. Nächste Station: Arzt und Friseur. Meine Lieblingsfriseurin hatte erst eine halbe Stunde später Zeit. Ich ging bummeln, bekam einen Anruf, konnte nicht drangehen, rief zurück: Meine Anfrage für ein Autoreninterview klappte. Ich sollte in etwas mehr als 24 Stunden ein Interview mit dem amerikanischen Bestseller-Autor Jeff Kinney bekommen. 15 Minuten, mit Fotos und natürlich auf Englisch. So langsam setzte kurz die Schnappatmung ein, die sich aber sofort wieder legte, als ich auf dem Friseurstuhl Platz nahm. Einmal nachschneiden und so richtig hübsch frisieren. Gäbe es dafür einen Anlass? Ja, in zwei Stunden ging mein überpünktlicher Zug los nach Frankfurt zum Römer, wo die Preisverleihung des Deutschen Buchpreises stattfinden sollte.


Im Friseursalon herrschte buchfremdes Publikum. Der Buchpreis war hier ein Fremdwort, die Buchmesse ebenfalls. Ich versuchte es mit verständlichen Worten: Es kämen viele Autoren aus aller Welt, um ihre Bücher zu vermarkten. Unter anderem auch Arnold Schwarzenegger. Vor Schreck hat mir meine Friseuse fast eine Strähne zuviel abgeschnitten. Mit solch einer Prominenz hat sie nicht gerechnet. Mit eine preisverleihungswürdigen Frisur huschte ich wenig später nach Hause, bügelte mein knallgrünes Kleid, warf mir meinen schwarzen Blazer drüber, packte meine Kamera, meine vier Objektive, meinen externen Blitz, fünf Akkus für die Kamera, acht Akkus für den Blitz als Reserve ein, dazu eine Bürste, einen Spiegel, Puder und Pinsel zum Nachbessern und den Dior-Lippenstift für besondere Anlässe. Dazu natürlich noch den genauen Ablauf des Nachmittags und die Einladungskarte. Alles passte, ich schaute auf die Uhr und eilte mich zum Bahnhof. Tief durchatmend. Und dann blass werdend saß ich im Zug und fragte mich, warum mir immer wieder in unregelmäßigen Abständen solche Anfängerfehler passierten: Ich hatte tatsächlich Stift und Kugelschreiber vergessen. Kaum in Frankfurt angekommen eilte ich zum Hugendubel, schnappte mir einen überteuerten Moleskine, verweigerte den Kauf eines rechteckigen Moleskine-Kugelschreibers, irrte umher und fand schließlich einen günstigen Stift, der schlecht schrieb. Der Abend konnte beginnen.


Beinahe ehrfürchtig betrat ich den Römer. Mein Blick viel sofort auf Stephan Thome, einem der Shortlist-Kandidaten, der überhaupt nicht aufgeregt erschien und vor der Tür wartete. Ich war absolut richtig hier. Schnell schob ich mich in das Rathaus, promt wurde ich von den zwei Türwärtern aufgehalten. Presse, murmelte ich und winkte mit meiner Einladungskarte. Sie ließen mich zur nächsten Kontrolle durch, mit skeptischen Blicken. Ich zweifelte an meiner Garderobe. Vielleicht hätte ich doch lieber das schwarze Kleid anziehen sollen? Nachdem mein Name auf der Gästeliste abgehakt war, stand ich plötzlich drinnen, ziemlich orientierungslos. Eine gewaltige Treppe führte nach oben, der türkisfarbene Banner des Buchpreises hing unter schweren, runden Leuchtkugeln. Zwei Pressetische versorgten mich mit eleganten Pressemappen.


Das ist also der Kaisersaal? Eine Freundin mit lustigem Wiener Dialekt nickte und wies mich auf das Prozedere hin. Durch die gewaltigen Fenster des Römers blitzten die Fachwerkhäuser hinter dem Justitia-Brunnen auf. Ich Kaisersaal starrten mich die Bildnisse der Kaiser an. Früher war hier ein Teil der städtischen Bibliothek untergebracht, bevor 1825 der Neubau fertiggestellt worden war. Nach der Renovierung wurden die Fenster hier vergrößert, die sich senkende Decke repariert und zusammen mit den Wänden und dem Fußboden ausgebessert, neu angestrichen und teilvergoldet. Es war ein schöner Saal, dem Anlass würdig. An den beiden Außenwänden unter den Gemälden war Platz für die Journalisten eingeräumt, innen fand fast 300 Menschen einen Sitzplatz. Die Bühne wirkte seltsam fehl am Platz. In einer halben Stunde sollte es so langsam losgehen.


Ich beschloss, meine Gedanken und Sachen zu ordnen. Ich sicherte mir einen der Stehtische, baute meine Kamera auf, entschied mich nach einem kurzen Blick in den Kaisersaal dann doch für das Teleobjektiv und den externen Blitz, überprüfte meinen Lippenstift, ging die Pressemappe durch und probierte meinen neuen Kugelschreiber und den Moleskine aus. Bald hielt ich Ausschau nach bekannten Gesichtern und entdeckte bald Heinrich Riethmüller, Gottfried Honnefelder, Hubert Winkels, den Jung und Jung-Verleger, Denis Scheck. Bald erspähte ich wieder Thome, Clemens J. Setz und Ursula Krechel. Eine SMS riss mich aus meinen Beobachtungen: Ich bekam die Login-Daten für den Twitteraccount der Jungen Verlagsmenschen.



Durfte ich schon rein? Dufte ich mir schon einen Platz aussuchen? Blieb ich links, blieb ich rechts? Bevor ich mich entscheiden mochte, lichtete ich lieber Ernst Augustin ab, einen weiteren Shortlist-Kandidaten, der trotz des hohen Alters nach Frankfurt gereist war und fleißig Interviews gab. Ich entschied mich für die linke Seite und setzte mich direkt neben einen Scheinwerfer, damit ich meine Tasche hinter der Lampe platzieren konnte. Torsten Casimir setzte sich mir schräg gegenüber hin und der Kaisersaal füllte sich. Ich sah wenig bekannte Gesichter, wenn dann vor allem junge und neben der üblichen Prominenz ein paar Berühmtheiten der Verlagsbranche. Ulla Unseld-Berkéwicz kam als eine der letzten und strahlte: Immerhin waren drei der Shortlist-Kandidaten aus ihrem Verlagshaus. Schließlich entdeckte ich alle Finalisten, mit Ausnahme von Wolfgang Herrndorf, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Preisverleihung teilnehmen konnte.


Ich mochte fast alle Finalisten, doch zwei waren mir besonders ans Herz gewachsen: Zum einen Stephan Thome für seinen wundervollen, sprachlich spannenden Textauszug, zum anderen Ursula Krechel, die ich auf der Blind-Date-Lesereise zum Deutschen Buchpreis kennen lernen und schätzen durfte. Sie war der Lyrik-Szene entwachsen, kannte viele Leute und Verlage, die ich sehr mochte und hatte einen äußerst spannenden Text vorgestellt mit einem sehr wichtigen Thema. Als einzige Frau bei den Finalisten wollte ich insgeheim, dass sie gewann, auch wenn die Konkurrenz groß war.


Gottfried Honnenfelder hielt eine Begrüßungsrede und ging vor allem auf das Thema Mut ein. Er lobte den Mut der Jury, die so eine Auswahl für die Shortlist getroffen hatte. Darunter drei Autoren aus demselben Verlagshaus, einem Kandidaten, der bereits den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hatte und einer Autorin, die aus einem kleinen Verlagshaus kam, das bereits vor zwei Jahren den Preis bekam. Die Jury wurde detailliert vorgestellt, die für den diesjährigen Buchpreis die besten Titel aus insgesamt 170 Büchern auswählten. Der diesjährige Schwerpunkt lag schlussendlich auf die Jahre des Nachkriegsdeutschlands. Bis zuletzt hat die Jury sehr kontrovers diskutiert und war sich uneinig über den Sieger.


Im Anschluss stellte in einem Film jedes Jurymitglied seinen Favoriten vor. Nach einem kurzen Einblick in das Buch, einem Textauszug, einem Kommentar des Autors folgte eine Interpretation des Jurymitglieds, warum gerade dieser Titel so weit gekommen ist. Der Sieger des Deutschen Buchpreises wurde pünktlich um 18.55 Uhr bekannt gegeben: Ursula Krechel für ihren Roman Landgericht, erschienen bei Jung und Jung.


Die Autorin, akribisch wie sie ist, hat eine geschrieben Rede vorbereitet, in der sie die aktuelle Thematik ihres Buches aufgriff. Ihre Worte gingen in einem Blitzlichtgewitter unter. Und plötzlich war der komplette Spuk vorbei, der Saal leer und die komplette Kamera- und Pressemeute folgte der Siegerin in den benachbarten Raum. Sie gab ein Interview nach dem anderen und es dauerte, bis ich sie bei der Feier im Erdgeschoss entdecken konnte. Ich dachte an den Presse- und Lesungsmarathon, der ihr in den nächsten Tagen noch bevorstand und bedauerte sie ein wenig. Wenn jemand eine schönschlimmere Messe gehabt hat als ich, dann auf alle Fälle sie. Hoffentlich war es nicht zu arg anstrengend gewesen.


Lange noch blieb ich auf der Feier und fotografierte viel und doch zu wenig, bevor ich mich durch die sehr guten Vorspeisen und die eher mittelmäßigen Hauptspeise wühlte. Sehr lecker hingegen war der alkoholfreie Cocktail, den mir die aufmerksame Kellnerin zauberte. Zwischen den Gesprächen blieb ein wenig Zeit, den Abend sacken zu lassen.


Ich hatte Angst gehabt, dass mich die Preisverleihung komplett desillusionieren würde. Dem war aber nicht so. Der Anteil an politischen Reden war erfrischend kurz, Honnefelder routiniert und die Kandidaten zügig und interessant vorgestellt. Der Moderator vermittelte gut und stellte lustige Fragen (Sind nicht alle Cover furchtbar hässlich in diesem Jahr?) und nicht zuletzt das Ergebnis stimmte mich positiv. Alles in allem war es eine sehr schöne Feier und ich freue mich schon, sie im nächsten Jahr vielleicht wieder besuchen zu dürfen, dieses Mal ein fester, arbeitender Bestandteil der Buchbranche.


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