Mittwoch, 21. September 2011

Deutscher Buchpreis 2011 – Eindrücke in Stichworten

Was können sie nun, unsere Shortlist-Kandidaten? Worum geht es in ihren nominierten Büchern? Wie ist der Stil? Die Umsetzung der Idee? Diese und viele andere Frage habe ich mir selbst beantwortet, nachdem ich mir die Leseproben durchgelesen habe. Hier liste ich nun meine Eindrücke auf.

Jan Brandt: Gegen die Welt (DuMont, August 2011)
928 Seiten. Wenn die Englischlehrerin Frau Zuhl sich erholen möchte, fährt sie weg aus dem Provinznest in Ostfriesland und hinein in ihre Stadtwohnung bei Hannover. Daniel Kuper wächst in diesem kleinen Ort in Ostfrieslandder 70er Jahre auf. Eine Szene im Englischunterricht wird beschrieben, der Humor gefällt mir, die verschachtelten Sätze hingegen gehen nicht immer auf. Schlecht lektorierte Leseprobe? Jan Brandt ist Jahrgang 1974 und besuchte unter anderem die Deutsche Journalistenschule in München. Alles in allem geht es um Daniel, der von den Dorfbewohnern zu einem Außenseiter gemacht wird. Der Schnee im Sommer, die Kornkreise, die Hakenkreuze, an allem ist Daniel Schuld, und je mehr er sich gegen die Anschuldigungen sträubt, desto mehr verstrickt er sich. Ich werde in die Handlung hineingezogen und würde weiterlesen. Klingt nach einem interessanten Debütroman.

Michael Buselmeier: Wunsiedel (Das Wunderhorn, März 2011)
Ein Autor, der zum Theater wurde, jedoch Schriftsteller wurde und seinen Abschied von der Bühne literarisch verarbeitet hat. 158 Seiten, Michael Buselmeier ist Jahrgang 1938, der Roman spielt 1964. Die erste Szene der Leseprobe beschreibt mir wohlbekanntes: Ein Abschied am Bahnhof, Impressionen aus einer verschwimmenden Landschaft mit eingefrorenen Momentaufnahmen. Moritz Schoppe heißt die Hauptfigur, ein Student, der in einem Bummelzug nach Wunsiedel zu seinem ersten Engagement fährt. Selbstreflexion des Ich-Erzählers: Eigentlich fehlte es ihm an allem, vor allem an Souveränität. Zwischen den Zeilen springt mir ein gutmütiger Humor entgegen. Zehn Wochen erlebt Moritz Schoppe dort, die zum Fiasko werden und kehrt nach 44 Jahren nach Wunsiedel zurück. Wunderbar poetisch geschrieben, leider nicht mein Thema.

Angelika Klüssendorf: Das Mädchen (KiWi, August 2011)
Klüssendorf ist 1958 geboren worden und wuchs in Leipzig auf. Scham ist aufregender als Langeweile. Das denkt sich das zwölfjährige Mädchen, das mit ihrem sechsjährige Bruder Alex vollkommen sich selbst überlassen in der DDR aufwächst. Der Vater ist Alkoholiker und kaum zu Hause, die Mutter lässt ihre Wut an den Kindern aus. Zwischen all der Gewalt findet das Mädchen einen Weg heraus, selbst wenn alles schon verloren schien. Ihr Bruder kapselt sich ab, sie selbst spielt Stinktier und bewirft die Menschen auf der Straße mit Scheiße, zieht sich die Unterwäsche ihrer Mutter an und tanzt für die Arbeiter am Fenster. Die Sprache der Autorin ist sehr klar, trocken und direkt. Die Handlung fesselt mich sofort. In einer Rezension wurde die Vulgärsprache der Autorin kritisiert, in diesem Milieu ist sie allerdings passend und realistisch. Der Konflikt ist spannend aufgebaut und die Selbstfindungsphase des Mädchens würde ich gerne weiterlesen. 184 Seiten.

Sibylle Lewitscharoff: Blumenberg (Suhrkamp, September 2011)
Alte Rechtschreibung. Eines Tages findet der Philosoph Blumenberg einen Löwen in seinem Arbeitszimmer. Am Tag darauf streunt er durch seinen Vorlesungssaal an der Universität. Die erste Szene ist überaus skurril, vor allem wegen den Gedanken des Philosophen (Ich bin katholisch, du kannst mich ruhig fressen). Ich entdecke unbekannte, passende Wörter (Ruch und Ungeruch), die mir gefallen. Ist Blumenberg wirklich der letzte Philosoph, der den Löwen zu würdigen weiß? 220 Seiten hat der Feuilletonliebling geschrieben. Sie wurde 1954 geboren. Klingt so skurril und humorvoll, dass ich gerne weiterlesen würde. Vor allem würde ich gerne noch mehr über die Blumenbergianer erfahren, vier Studenten, die den Philosophen verehren. Ein Vorbild ist wohl der reale Philosoph Hans Blumenberg, doch der fiktive Blumenberg in Lewitscharoffs Roman wird nie beim Vornamen genannt.

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts (Rowohlt, September 2011)
1954 geboren, es ist sein erster Roman. Das Manuskript wurde mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. 432 Seiten. Es ist drei Generationen, die in der DDR aufeinander treffen: Die Großeltern sind überzeugte Kommunisten, der Sohn mit seiner russischen Frau war einst im Arbeitslager nach Sibirien verschleppt worden und ihrem Sohn, dem es in der DDR zu eng wird. Der Titel des Romans spiegelt den Glauben der politischen Utopie wieder, die von Generation zu Generation in all den Jahrzehnten immer weiter abnimmt. Das klingt nun schlimmer und trockener, als sich die Leseprobe eigentlich liest. Es ist aus der Sicht von Alexander geschrieben, dem Jüngsten, mit einer herrlichen Naivität, in der trotzdem schon das Grauen des Staates hervorbricht. Die Dialoge, die Figuren, die bisherige Beschreibung lesen sich gut, die Sätze sind einfach gehalten und machen Spaß. Würde ich unheimlich gerne weiterlesen.

Marlene Streeruwitz: Die Schmerzmacherin. (S. Fischer, September 2011)
1950 geboren. Österreicherin. Abgebrochenes Jura-Studium und eine Vorliebe für kurze Sätze. Das Buch hat 400 Seiten. Die Hauptfigur ist Amy, die einem privaten Sicherheitsservice angehört. Sie will aussteigen und gerät in die Fänge einer brutalen Organisation. Unheimliche Elemente. Schöne Bilder zeichnen sich in der Leseprobe ab, aber es sind kurze Sätze. Großartige Stimmungsbilder in der Winterlandschaft. Um nicht außer Atem zu geraten, überfliege ich den Textauszug. Kurze Sätze, ich hasse sie. Das wäre das einzige Buch aus der Shortlist, was ich nicht weiterlesen würde. Und ich würde es mir bei einem Sieg auch nicht kaufen. Schade, denn eigentlich fand ich die Idee ganz spannend und das Cover ist unheimlich schön. Aber kurze Sätze, nein.

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