Mittwoch, 19. Oktober 2011

Deutscher Jugendliteraturpreis 2011 – Die Sieger


Es war mal wieder soweit: Am Freitag wurden während der Frankfurter Buchmesse die Sieger des diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreises in den Kategorien Bilder-, Kinder-, Jugend-, Sachbuch, Preisträger der Jugendjury und Sonderpreis für den Übersetzer ausgezeichnet. Und ich saß im Saal Harmonie mitten im Publikum und drückte mehr oder weniger wissend die Daumen.


In der Kategorie Bilderbuch hat Martin Baltscheit (Text, Illustration) gewonnen. »Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor« (Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher) ist für Kinder ab fünf Jahren empfohlen und berichtet von einem älter werdenden Fuchs, der sehr vergesslich wird. Letztlich kann der alte Fuchs nicht einmal mehr Hund als Hunde erkennen, und diese als Feinde erfassen. In der stärksten Szene des Bilderbuches gestaltet der Autor und Illustrator eine bewegende und drängende erlebte Rede des Fuchses bei der Begegnung mit den Hunden. Ich habe es mir am Tag danach durchgelesen und fand ein sehr ernstes, teilweise beklemmendes Buch vor mir. Einzig die Gewissheit, dass der Fuchs zum Schluss behütet bei den Jüngeren altern darf, nahm dem Buch den Schrecken. Das Thema Alzheimer wird hier sehr nachdenklich stimmend verarbeitet und hat mich lange nicht mehr losgelassen.


In der Kategorie Kinderbuch gewannen die Autorin Milena Baisch und die Illustratorin Elke Kusche mit ihrer Geschichte: »Anton taucht ab« (Beltz & Gelberg). Cool wie kein anderer, ein Meister der Schlagfertigkeit, in allen Chatrooms zu Hause, aber vor einem See als Badestelle muss er kapitulieren. Der pointensicher aus Antons Sicht erzählte Roman besticht durch seine ironische Brechung der Abenteuerheldengeschichte, seine treffsichere und mitreißende Erzähllust und nicht zuletzt auch durch sein finales Wort: »Karramba!«


Wolfgang Herrndorf gewann mit »Tschick« (Rowohlt Berlin Verlag) die Kategorie Jugendbuch. Es gibt sie tatsächlich: die sprichtwörtliche Walachei. Dorthin unterwegs sind zwei Jungs, die beide aus verschiedenen Gründen Außenseiter und 14 Jahre alt sind. Mit Tempo und Witz begleitet der Autor seine wie zum Anfassen ausgeführten Figuren auf ihrer Reise durch die deutsche Provinz, ohne auch nur eine Sekunde aus den Augen zu verlorern, dass Tschick und Maik tatsächlich erst 14 sind. Das feine Gespür des Autors für jugendrelevante Themen, komische Dialoge, der jugendlich-authentischen Erzählton und der bis zum filmreifen Finale konsequent durchgehaltende Spannungsbogen machen den Roman herausragend. Ich werde ihn auf alle Fälle lesen.


Sehr stark war in diesem Jahr die Kategorie Sachbuch vertreten. Gewonnen haben schließlich Alexandra Maxeiner (Text) und Anke Kuhl (Illustration) mit ihrem Titel: »Alles Familie!« (Klett Kinderbuch Verlag). Das Sachbuch, ab vier Jahren geeignet, zeigt nicht nur normale Familien auf, sondern vor allem alle möglichen anderen Konstellationen, in denen Alter, Geschlecht und Verwandtschaftsgrad kunterbunt durcheinander gehen können. Die bei allem Karikaturistischem doch auch ernsthafte Auseinandersetzung vermittelt dem lesenden Kind: Jede Familie ist einzigartig, egal ob dezent oder geräuschvoll, Faul oder umtriebig, denn: Jede Familie hat ihren charakteristischen Geruch. Der Autorin gelang es, diese Auseinandersetzung völlig wertefrei anzustoßen und beim Blättern hatte ich sehr großen Spaß: Was die alles für Einfälle und Umsetzungen hatten!


»Erebos« von Ursula Poznanski (Loewe Verlag) gewann den Preis der Jugendjury, die alle nominierten Titel auf der Bühnen szenisch umsetzten. In Erebos geht es um Nick, der Computerspiele liebt und Erebos ist das beliebteste Spiel. Als fiktive Spielfigur taucht Nick völlig in die virtuelle Phantasiewelt ein. Doch Erebos ist nicht nur ein Spiel, denn es befiehlt Jugendlichen, Aufträge in der Realität zu erfüllen und einander zu überwachen. Der Leser begleitet Nick in die Welt von Erebos und erlebt, wie leicht ein Spiel manipulieren und einen selbst von Grund auf verändern kann. Der Einfluss von Medien auf Jugendliche stellt den Leser nicht zuletzt vor die Frage, wie weit er selbst für ein Spiel gehen würde.


Der mit 10.000 Euro dotierte Sonderpreis für den Übersetzer ging an Tobias Scheffel, der sich auf französische Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert hat. Mit außerordentlichem Sinn für sprachliche Ästhetik, für die Möglichkeiten und Grenzen von Kulturtransfer und für die Rezeptionsbedingungen innerhalb der Zielkultur rückt er diese hierzulande ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Über 100 Titel hat er mittlerweile übersetzt. Dank seiner Sensibilität für Sprachrhythmus und -melodie und seiner Lust am schöpferischen Umgang mit der Sprache trifft Tobias Scheffel für jeden Text den angemessenen, authentischen Ton. Er gibt den von ihm übersetzten französischen Autoren auf diese Weise auch im Deutschen eine eigene, unverwechselbare Stimme. Nach der Preisverleihung schnappte ich mir ein sehr skurriles Kinderbuch, das er übersetzt hatte und staunte über die vielen Sprachspiele, der er gekonnt ins Deutsche übertragen hat.


Insgesamt waren es eineinhalb Stunden, die sehr rasch vergingen. Marc Langebeck führte als Moderator durch das Programm und sprach vom digitalen Gespenst, das sich in der Buchbranche umtreibe (sehr originelles Thema, ächem!). Regina Pantos, die Vorsitzende des Arbeitskreises Jugendliteratur, stellte die Arbeit der neunköpfigen Jury und den sechs Leseclubs der Jugendjury vor, die fast 600 Titel sichten mussten, um aus ihnen dann die Sieger zu wählen. Der Staatsminister Bernd Neumann überreichte die Preise. Im Anschluss gab es leckere Häppchen und Fingerfood im Foyer vor dem Saal. Ich weiß gar nicht mehr, ob es vor zwei Jahren einen Nachtisch gegeben hat, auf alle Fälle hätte ich ihn so und so verpasst, denn bald schon hatte ich meinen nächsten Abendtermin.

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