Freitag, 19. November 2010

Rezension – Georges Perec: »Ein Kunstkabinett«


Die legendäre Kunstsammlung des Bierbrauers Raffke wird in Ohio erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Mit Mittelpunkt steht ein Gemälde, das auf einigen der deutschen Buchausgaben abgebildet ist und das ich unglaublich liebe: Es ist ein Gemälde, das ein Gemäldezimmer zeigt, in dem das Gemälde hängt, das ein Gemäldezimmer zeigt – in dem wiederum das Gemälde hängt usw. Das Bild spiegelt das Zimmer mit den Gemälden unzählbar oft wieder. Der Künstler Heinrich Kürz hat als Besonderheit Details der abgebildeten und wiedergespiegelten Gemälde verändert, sodass die Besucher der Kunstausstellung im Jahr 1913 ganz versessen darauf sind, die Geheimnisse mit einer Lupe persönlich zu ergründen.

Der Bierbrauer stirbt und wird zusammen mit seiner Kunstsammlung beerdigt. Das Sterbezimmer wird dabei genauso arrangiert, wie es im Gemäldezimmer aussieht: Dieselben Bilder hängen an der Wand, eine Staffelei steht in der Ecke und der Tote sitzt in einem Sessel. Nur noch der Hund an seiner Seite fehlt. Die Sammlung von Raffke wird versteigert, bis viele Jahrzehnte nach seinem Tod ein Brief auftaucht, der die gesamte Kunstszene durcheinander bringen wird.


Leider will Georges Perec dem Leser hier etwas vermitteln, was ihm nicht ganz gelingt: Er baut ein starres Gerüst auf, das Fakten wiedergeben soll. Rein dokumentarisch soll »Ein Kunstkabinett« sein und Seite um Seite ergeht sich Perec in Beschreibungen der Bilder, der Entstehungsgeschichte, der Besonderheiten und den Verkaufspreisen. Kunstexperten und Zeitungen werden eingearbeitet und zitiert. Und doch habe ich ihm diesen Stil nicht abgenommen. Ständig habe ich auf den roten Erzählfaden gelauert. Versteckte er sich etwa und kam nach der Beschreibung des besonderen Gemäldes? Nein. Nach dem Tod von Raffke? Nein. Ging es endlich nach der Versteigerung los? Nein, denn Perec bleibt auf seiner künstlich wirkenden, starren Dokumentarebene, mit dem sich der Leser abfinden muss. Mit ihrer Hilfe baut er eine Welt auf, sucht sich Beweise und Rechtfertigungen, die er innerhalb der letzten zwei Seiten komplett zerstört – und das relativ brutal und gnadenlos. Lieber Leser, suchst du ein Buch, das dich vor den Kopf stößt? Bist du masochistisch verlangt? Dann schnapp dir diesen Perec und leide!

Was zurückbleibt ist lediglich das unbestimmte Gefühl, etwas verpasst zu haben: Unzählige Anspielungen, mehrdeutige Passagen, Insider aus dem Kulturbetrieb. Um das allerdings aufzuarbeiten und komplett verstehen zu können, reicht es nicht, das Buch erneut zu lesen. Eine Dissertation über Perec und sein Werk wäre ebenfalls nötig. Zusammen mit einer über den Kunst- und Kulturbetrieb. Schade.

1 Kommentar:

  1. Na das scheint doch die perfekte Einschlaflektüre zu sein...sofern einen der Stil nicht direkt aggressiv macht. ;)

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