Dienstag, 9. November 2010

Das Kinder- und Jugendbuch – Humanismus und Reformation

Es war die Zeit der Wiegendrucke, als die ersten Bestseller für den Kinder- und Jugendbuchmarkt entstanden. Doch wieso erst jetzt? Vorher hatte man quasi auf dem Rücken von Schweinen und Kühen geschrieben – zumindest bildlich gesprochen. Der Beschreibstoff Pergament bestand nämlich aus einer leicht bearbeiteten Tierhaut. Erst als das Papier aus Lumpen und später aus Pflanzenfasern nach Europa kam, verschwand das Pergament so nach und nach. Die Erfindung von Gutenberg, eigentlich Johannes Gensfleisch, ist der Buchdruck mit beweglichen Metall-Lettern. Zusammen mit dem neuen, billigen Beschreibstoff konnten die ersten Bestseller für den Massenmarkt gedruckt werden. Und diese sahen etwas anders aus als der Harry Potter, die kleine Raupe Nimmersatt oder die Zwillinge Hanni und Nanni von heute.

24 Seiten stark war die Kurzgrammatik »Ars Minor« von Aelius Donatus. Der Traum aller Lateinschüler fasste die Konjugationen eines Wortes in einer Zeile zusammen. Tabellen? Nein, platzsparend sollte das Lehrbuch von damals sein.

Wie sah der Markt in dieser Zeit aus? Wurden nur Bücher für den Lateinunterricht gedruckt? Fast. Während der Inkunabelzeit waren 90 Prozent aller gedruckten Bücher in Latein verfasst. Die restlichen zehn Prozent teilten sich in den Volkssprachen auf. Es waren vor allem Bücher für die Liturgie, die auf den Tischen der Drucker landeten, darunter vor allem Messebücher und die Evangelien. Die Lesefähigkeit lag bei unter zwei Prozent. Mit dem Humanismus setzte der Glaube an die allgemeine Bildungsfähigkeit des Menschen ein und mit der Renaissance begann die Rückbesinnung auf Texte der Antike. Und mit Hilfe von Gutenberg und dem neuen Beschreibstoff konnte die Bildung der Jugend vorangetrieben werden.

Im Zuge des Humanismus kamen viele Bücher für die fleißigen Discipuli auf den Markt. Typisch waren Abbildungen zwischen dem Lehrer und dem Schüler und Erziehungsratgeber. Sebastian Brant (1457-1521), Stadtschreiber und Jurist in Basel, veröffentlichte 1494 das »Narrenschiff«, in dem er alle Torheiten des Lebens aufzählte. Interessant ist die Abbildung des Büchernarren: Er hortet unnütze Bücher, was schlimm ist, denn unnütz ist hier mit ungelesen gleichzusetzen.

Neben Erziehungsratgebern kamen auch Anstandsbücher auf den Markt, darunter »Ein schön christlich new Spil von Kinderzucht« (Straßburg 1574). Hier wurde das Leben des braven Hänschen gezeigt, der zum Dr. Johannes wurde. Aleator hingegen, der Glücksspieler, war untauglich und landete in der Gosse. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Etwas bekannter dürfte die Methode der Negativdidaxe sein: Böse Eigenheiten, gemeine Eigenschaften und schlechtes Benehmen werden so übertrieben dargestellt, dass sie dem Kind in all ihren Konsequenzen dargestellt werden können. Der »Grobianus« (1551) von Friedrich Dedekind gehört dazu. Ein braves Kind nimmt sich beim Essen die besten Stücke zuerst, reinigt seine Zähne mit dem Messer und isst bis zum Platzen. Der Struwwelpeter und der Eulenspiegel gehören zur selben Kategorie.

Für Mädchen gab es eigene Anstandsbücher. 1493 veröffentlichte Marquardt von Stein ein Büchlein mit Tipps, wie sich eine perfekte Ehefrau zu verhalten hat.


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Nächste Woche folgt die Realienpädagogik des 17. und 18. Jahrhunderts und die Zeit der Aufklärung in Deutschland.

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