Mittwoch, 6. Oktober 2010

Buchmesse 2010 – Erster Tag, erste Impressionen


Endlich Messe. Endlich Trubel. Endlich Bücher- und Menschenmassen – oder doch nicht? Ich bin wirklich ratlos. Bislang habe ich in den letzten Jahren immer durchgehend gearbeitet und das in einer der vollsten Hallen der Messe: 3.0. Nun habe ich zum ersten Mal überhaupt Zeit für mich, für meine Messe und schlendere um kurz nach neun Uhr gemütlich durch die Gänge, schlage meine liebsten Abkürzungen ein, muss nicht einmal jemanden in die Hacken laufen oder den Ellenbogen ausfahren.



Es ist ruhig. Ich besuche die erste Veranstaltung, auf der sich die Besucher wohldiszipliniert auf ihre Sitze platzieren, die Moderatorin stellt ungemein wichtige Fragen zur Digitalisierung und dem Standpunkt von Verlagen, Zeitschriftenherausgebern, Bibliotheken und Google, ein am Rand stehender Mann lacht laut auf und merkt nicht, dass er mit seiner penetranten Stimme die Redner – Experten! – zum Stocken bringt.



Zweite Veranstaltung. Experten und der Branchennachwuchs diskutieren über den Buchmarkt und seine Zukunft. Ein Weinkeller wird zum festen Bestandteil der Buchhandlungen im Jahr 2020 gekürt. Mehr als die Hälfte der Sitzkartons bleibt leer.



Nicht anders ist es bei meiner dritten und letzten Diskussionsrunde. Wenigstens erlebe ich hier »Wahre Bücher!« in Form eines elf Kilogramm schweren Wälzers, der vor dem Podium aufgebaut ist. Herbert Ullmann, der Verleger von »Ars Sacra«, berichtete, dass die Herstellung fünf Jahre gedauert hat und die Produktion so aufwändig ist, dass pro Tag nur 120 Bücher fertiggestellt werden können. Um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen, steht mein Handy neben dem Buch Modell. Und ja, augenscheinlich gab es schon bei alten Handys Probleme mit Fingerfettflecken. Brrr!



Nachdem ich die Hallen 4.0 und 4.1 mühelos erkundet habe, zog es mich zurück an den Ort jahrelanger, fußgebrechlicher Qualen. Halle 3.0 musste her. Hier wollte ich eine Entscheidung haben, die meine Befürchtung entweder bestätigen oder entlasten sollte.



In den lange Gängen entdeckte ich viele interessante Verlagsparzellen – Hirschgeweihe und verschlissene Ledersessel auf Laminat sind dieses Jahr schick – und viele spannende Buchprojekte, aber das wirklich schreckliche war: Ich konnte mir alles total entspannt-schlendernd-schlurfend-flanierend anschauen. Ohne Gedränge.



Wo sind die Menschen, die mit ihren Koffern die Wege versperren, an den unmöglichsten Orten stehen bleiben müssen oder Bücher klauen, Prospekte erhaschen und Lesezeichen, Knabbereien, Spielkarten, Leseproben erbeuten? Wo war die Hektik gewesen, die mich früher meist schon ereilt hat, bevor ich das Messegelände überhaupt betreten habe? Die übervollen S-Bahnen, die zum Erbrechen vollen Straßenbahnen und das Gedränge an den Kassen? Tut der Messe soviel Humanität überhaupt gut?



Irgendwie fehlte mir heute eindeutig der große Rummel. Oder gute Mikrofonanlagen bei den Diskussionsrunden. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.



Übrigens: Da die blöde ARD mich gefilmt hat, habe ich als fiesen Vergeltungsschlag einfach mal die Kameraleute fotografiert. Das habt ihr nun davon, sagt die Büchereule

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