Samstag, 9. Oktober 2010

Buchmesse 2010 – Wie man eine Messeparty überlebt



Wow, dachte ich am Donnerstagabend, als meine Chefin mich um kurz nach 18 Uhr fragte, ob ich Lust hätte, ihre Einladung zur Messeparty vom S.Fischer-Verlag zu übernehmen. Mein innerer Ausruf beschreibt treffend, was für Emotionen in meinem Kopf umherspukten. Angst, Freude, Verwirrung, Zweifel, Neugier, Hunger, Kleidungsfrage. Relativ sprachlos nahm ich die Einladung an und meine Chefin entschwebte dem Messegelände.


Bevor ich es realisieren konnte, flitzte ich hinüber zu einem befreundeten Verleger und klagte ihm mein Leid. »Scheiße, ich bin dort eingeladen und kenne niemanden.« Weise, wie Herr L. ist, drückte er mir ein Buch in die Hand, kritzelte vorher einen Gruß ins Buch und lächelte zufrieden. Ich lächelte breit zurück. Mit dem Buch hatte ich die Einladungskarte ein zweites Mal erhalten, nur dieses Mal mit dem Auftrag, Herrn B. zu suchen und ihm das Buch zu überreichen. Wunderbar!


Um halb sieben schob ich mich in eine Buchmesse-Toilette. Um die Uhrzeit ist dort der Teufel los und alle Waschbecken sind belegt: Eine Frau im Kostüm putzte sich die Zähne (irgendwie sah es so aus, als würde ihr die Zahnpasta dazu fehlen), eine weitere benutzte eifrig Zahnseide. Eine Blondine steckte ihr Haar in einem Pferdeschwanz hoch, schob sich zielgerichtet einen schwarzen Haarreif mit gebogenen schwarzen Federn auf den Kopf und warf sich einen prüfenden Blick zu. Wesentlich rasanter ging es bei Blondie Nummer Zwei zu, die panisch versuchte, einen Fleck aus ihrer weißen Bluse zu waschen. Ich zog mir lediglich meinen Lippenstift nach, trug Gloss auf und richtete meine Haare.


Auf dem Weg zur Straßenbahn schnappte ich mein Handy und rief Wortschatz an. »Ich bin ganz schön am Popo - hilf mir!«, flüsterte ich laut genug, um nur von ihm gehört zu werden. Nach zehn Minuten hat er mir erklärt, wie ich in etwa wohin fahren musste, um mein Ziel zu erreichen.


Genial. So nach und nach lösten sich all meine Probleme in Luft auf. Das nächste erledigte ich in einem Schmuckgeschäft am Hauptbahnhof, als ein Haarreif mit Perlen (nein, die Federn haben mich nicht inspiriert) im Körbchen und später auf meinem Kopf landete.


So ausgestattet fühlte ich mich gewachsen für meine allererste Messeparty. Hätte ich nur vorher gewusst, dass ich ein ganz neues Territorium betreten würde, wild, wüst und undurchdringlich, bereit, mich zu zertrampeln und in Zigarrenrauch zu ersticken. Vielleicht hätte ich dann brav mit dem Kopf geschüttelt und die Einladung zur Party abgelehnt. Aber nur vielleicht.


Die S-Bahn brachte mich nach Frankfurt Süd und nach zwei Minuten unsicheren Fußes erreichte ich das schwarze, schmiedeiserne Tor, vor dem zwei gutaussehende Torposten einen höchst lässigen Blick auf meine Karte warfen, um mich dann mit einem Kopfnicken durchzulassen.


Ich war drin. Mitten im Getümmel aus gefühlten zwei Millionen Menschen auf vier Quadratmetern, die sich in Grüppchen genau so hinstellten, dass sie im Weg waren. Ich suchte mir eine Ecke und verharrte dort. Überblick, ich lechzte danach, erstickte in der Masse.


Die restlichen zwei Stunden sind rasch erzählt: befreundete Redakteurin, netter Plausch, Herr B. bekannt, Suche, Haus rein, Haus raus, Hof rum, Hof verlassen, Haus rein, Haus hoch, kleiner Lesesaal, großer Lesesaal, netter Plausch, kein Herr B., Verabschiedung, Rundgang, Fotos, fertig.


Wesentlich nützlicher als die Beschreibung meines Heimwegs ist ein kleiner Ratgeber mit Warnungen, ohne die man eine Messeparty eigentlich nicht überleben kann.


1. Sobald ein Kellner oder ein Stand mit Getränken in der Nähe ist, solltest du, lieber Leser, deine Chance nutzen: Schnapp dir ein Glas, ehe es zu spät ist! Der Weißwein ist bei S.Fischer berühmt-berüchtigt - damit kannst du nichts falsch machen, aber nimm es dir, denn du weißt nicht, ob die Menschenmasse dich je wieder in die Nähe von Getränken drängen wird.


2. Dasselbe gilt für Abstellflächen: Sobald du eine siehst, schnapp dein leeres Glas und stell es ab, sofern kein Kellner zum Nachschenken in der Nähe ist.


3. Verstau deinen Mantel sofort in der Garderobe, auch Taschen. Je dünner du bist, desto weniger wirst du gequetscht und desto mehr kannst du locker-leicht-flexibel die Hindernisse umkurven.


4. Suche dir als Nichtraucher keine Freunde, die rauchen. Im Haus herrscht Rauchverbot, sodass du mit Zigaretten-Freunde draußen im Hof unter einem durchsichtigen Zelt stehen musst. Nach zwei Stunden ist der Rauch dicht wie Zuckerwatte, nur nicht so schmackhaft und bildet einen ganz eigenen ökologischen Kreislauf. Mal schauen, was sich da im Laufe der Evolution noch für Lebewesen entwickeln werden.


5. Wenn du Lippenstift trägst, schnapp dir die Tomaten und die Knabberstangen, da es nicht gewährleistet ist, dass die Masse dich, liebe Leserin, jemals zu den Toiletten durchlassen wird.


6. Halte dich von dem kleinen Lesezimmer fern. Hier tummeln sich die grauen Eminenzen und das Licht ist Mist zum Fotografieren.


7. Mit dem Uhrzeigersinn oder dagegen? Im Hof ist es egal, denn es wird kein Durchkommen geben. Alle Wege führen ins Haus und sind dort wesentlich schneller zu bewältigen, als einmal quer über den Hof zu laufen.


8. Tipp: Im großen Lesesaal kann man Bücher hinter Glas bewundern. Hier werden die Häppchen regelmäßig nachgefüllt und die Kellner haben genug Beinfreiheit, um regelmäßig die Gläser nachzufüllen. Achtung! Bei der Auswahl der leckeren Brote musst du darauf achten, keine allzu fettigen zu wählen. Die Servietten liegen zwar verlockend in der Nähe, allerdings habe ich während der gesamten Feier keinen Mülleimer gesichtet.



9. Hüte dich vor Tine Wittler und Roger Willemsen!

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